Dieser Kommentar bezieht sich auf den Abschnitt zum „European Green Deal“ in der Rede der Kommissionspräsidentin von der Leyen bei der Amtseinführung der Europäischen Kommission.
Quelle: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/SPEECH_19_6408
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Alle Zitate sind aus diesem Dokument.
Die EU wird sich nach dem Willen der neuen Kommission als eine der zentralen Aufgaben um den Klimaschutz kümmern und will hier eine Vorreiterrolle in der Welt einnehmen. In den Worten der Kommissionspräsidentin von der Leyen (vdL):
If there is one area where the world needs our leadership, it is on protecting our climate. This is an existential issue for Europe – and for the world.
Dies ist erst einmal eine erfreuliche Erkenntnis und begrüßenswerte Absicht, auch wenn man anmerken könnte, dass diese Aussage 47 Jahre nach Erscheinen von „Die Grenzen des Wachstums“ reichlich spät kommt. Aber sei’s drum, besser spät als nie, Hauptsache jetzt wird endlich gehandelt.
Dass vdL in dieser ersten Vorstellung ihrer Ziele noch keine konkreten Maßnahmen benennt, ist sicher verzeihlich. Es ist richtig erst einmal die grundsätzliche Richtung vorgeben und dann die konkreten Schritte überlegen und einleiten.
Was mich allerdings beunruhigt, sind die bei vdL hervorgehobenen Sätze wie diese:
The European Green Deal is a must for the health of our planet and our people – and for our economy.
The European Green Deal is our new growth strategy. It will help us cut emissions while creating jobs.
At the core of it will be an industrial strategy that enables our businesses – big and small – to innovate and to develop new technologies while creating new markets.
Das klingt doch sehr nach bekannter Symbolpolitik, nach dem so beliebten „niemand weh tun“ und „keinen verschrecken“:
Alles soll gut für die Umwelt sein und für die Industrie. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass bei diesem Doppelziel die Industrie meist sehr gut wegkommt, die Umwelt eher weniger.
Und es geht wieder einmal um Wachstum und die Erzeugung von Arbeitsplätzen. Sollte es nicht eher um Begrenzung von Wachstum gehen und um die gerechte Verteilung der vorhandenen Arbeit?
Der Schlüssel des Green Deals wird nach Wunsch von vdL eine Industrie-Strategie sein, die auf Innovation und neuen Technologien beruht und damit neue Märkte erschliesst.
So notwendig Innovation und neue Technologien sicher sind, mit ihnen allein läßt sich der Klimawandel nicht stoppen. E-Mobilität zum Beispiel – das Lieblingsthema von Symbolpolitik und Autoindustrie – ist bei dem derzeitigen Primärenergie-Mix bei der Stromerzeugung von überschaubarem ökologischen Nutzen. Bei den klassichen Verbrennern hätte der große Fortschritt in der Technologie sicher zu weniger CO2-Emmissionen führen können, wären nicht gleichzeitig Zahl, Größe und Gewicht der PKWs angestiegen (Stichwort: SUV). Die Beispiele ließen sich fortsetzen.
Zugegeben, ich bin einer dieser „Öko-Diktatoren“, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ebenso befürworten wie deutlich höhere Energiepreise. Aber die Freiheit des Einzelnen endet eben dort, wo essentielle Rechte anderer beeinträchtigt werden. Und gibt es eine größere Beeinträchtigung als die Zerstörung des Lebensumfeldes künftiger Generationen?
Wenn wir Umweltpolitik ernst nehmen, wird es mit „neuen Technologien“ allein nicht getan sein. Dann werden wir unseren Konsum, unsere Mobilität, unsere gesamte Wirtschaftsweise verändern müssen – und, ja, es wird ohne Verbote und Vorschriften nicht gehen.
Das Wesentlichste aber ist, dass ein großer Teil der notwendigen Maßnahmen die wirtschaftlich Schwächeren wesentlich mehr als die Stärkeren treffen wird. Ein „Green Deal“ kann deshalb in einer Demokratie nur durchgesetzt werden, wenn er von einer starken sozialen Komponente begleitet wird. Dabei darf man vor einer Umverteilung von reich zu arm nicht zurückgeschrecken. Umverteilung innerhalb der Staaten, aber auch – für Deutschland das Tabuthema schlechthin – Umverteilung zwischen den europäischen Partnern wird unverzichtbar sein.
Ob die neue Kommission den Mut hat, diese notwendigen Schritte anzustoßen, oder ob es bei althergebrachter, faktisch wirkungsloser Symbolpolitik bleibt, ist abzuwarten. Ich wünsche der Kommision auf jeden Fall all den Mut, den sie brauchen wird!
Es könnte in den nächsten Jahren eine Aufgabe von Pulse of Europe sein, aufmerksam hinzuschauen und eine konsequente Umsetzung der hehren Ziele zu fordern, aber auch mit unseren bescheidenen Mitteln Rückendeckung zu geben, wenn unpopuläre Maßnahmen getroffen werden müssen.
Dann werden wir hoffentlich in ein paar Jahren mit Stolz vdLs Schlusswort zitieren:
Vive l’Europe, es lebe Europa, long live Europe!