Im Frühjahr 2017 bildete sich bei uns in Offenburg – wie in vielen anderen Städten – eine Pulse of Europe-Gruppe. Uns motivierte die Sorge, dass der Welt, wie wir sie kannten, durch den Brexit, durch die Wahl von Trump und durch die populistischen Strömungen in vielen europäischen Ländern ein bedrohlicher Wertewandel bevorstand. Wir wollten einen Beitrag dazu leisten, dass es auch in Zukunft ein vereintes, demokratisches Europa gibt – ein Europa, in dem die Achtung der Menschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit, freiheitliches Denken und Handeln, Toleranz und Respekt selbstverständliche Grundlagen des Gemeinwesens sind. Bei den sonntäglich stattfindenden Kundgebungen kamen in Offenburg bis zu 500 Teilnehmer zusammen, die u.a. am Offenen Mikrofon ihre Sicht Europas geschildert haben.

Als aktive Gruppe treffen wir uns weiterhin jeden ersten Montag im Monat um 20 Uhr im Freigeist in Offenburg und sind bei gegebenen Anlässen wieder in der Öffentlichkeit präsent, wie z.B. am 14. Juni 2020 zum 35. Jubiläum des Schengener Abkommens.

Die Grundgedanken unserer pro-europäischen Bewegung sind hier zusammengefasst. In der Folge einige persönliche Gedanken zu Europa und seinen Grenzen.

Deutsch-Polnische Grenze

Dass Grenzen durchlässig werden können, ist für mich als Kind des deutsch-französischen Grenzraums eine beglückende Erfahrung. Grenzen auch im Osten Europas zum Einsturz zu bringen, z.B. zwischen Deutschland und Polen, war sehr viel schwieriger. Den Menschen Polens, dem Land, dem durch Nazi-Deutschland so unendlich viel Leid zugefügt worden war, konnte man überwiegend nur mental über sporadische Begegnungen diesseits und jenseits der Grenze nahe kommen. Diese Begegnungen führten dazu, dass sich wenigstens ein kleiner Teil der Bevölkerungen kennen und schätzen lernte.

Wie glücklich war ich deshalb, als durch das Niederreißen des Eisernen Vorhangs und den Beitritt Polens zur Europäischen Union das Zusammentreffen mit den polnischen Freunden leichter und schließlich durch die Erweiterung des Schengen-Raums die Grenze völlig durchlässig wurde. Immer mehr Bürger und Bürgerinnen reisen seither ungehindert in das jeweilige andere Land, sie können dort arbeiten und leben und mehr über die Partner*innen erfahren, die oft über Jahre zu Freund*innen geworden sind. Dieser Prozess ist längst nicht abgeschlossen und muss ungestört weiter gehen können! lch will nicht, dass die Grenzen jemals wieder dicht gemacht werden mit der Folge, dass die Menschen sich wieder entfremden. Zusammenarbeit und Freundschaft gedeihen nur ohne Grenzen. Die Europäische Union muss noch enger zusammen wachsen!

Angelica Schwall-Düren

35 Jahre Schengen Abkommen

Als Kind deutscher Eltern bin ich in Spanien geboren und musste mich mit 18 Jahren entscheiden, ob ich die deutsche oder die spanische Staatsbürgerschaft annehmen wollte. Trotzdem habe mich als europäische Bürgerin immer beiden Ländern zugehörig gefühlt, das Schengen-Abkommen hat diese grenzenlose Europa-Erfahrung möglich gemacht. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich spreche für mich und im Namen von Pulse of Europe, wenn ich wünsche, dass eine Weiterentwicklung des Schengen-Abkommens dazu führt, dass auch in Krisenzeiten keine nationalen Egoismen, sondern ein solidarisches Miteinander gelebt wird. Meine Heimat, unsere Heimat ist Europa!

Cordelia Schulz

Ich bin erst vor wenigen Jahren vom bayerischen Alpenrand nach Offenburg gezogen. Seit meinem Umzug hat mich die nahe Grenze nach Frankreich interessiert. Natürlich lebt man in Südbayern auch grenznah. Aber jenseits der bayerischen Grenze liegt Österreich, dort sprechen die Menschen dieselbe Sprache und haben dieselbe Kultur. Die Grenze verläuft unsichtbar irgendwo in den Alpen und beim Wandern zeigt häufig nur die Fahne an einer Berghütte, ob man sich gerade in Deutschland oder Österreich befindet.

Hier am Oberrhein ist die Situation ganz anders. Der Rhein bildet eine unübersehbare physikalische Barriere, auf der anderen Seite wird eine andere Sprache gesprochen und auch die gelebte Kultur ist merkbar anders. Nicht zuletzt sollte man erwarten, dass beide Seiten durch Jahrhunderte ihrer Geschichte getrennt sind, einer Geschichte voller Kriege, Leid und Hass.

Die Realität, die ich am Oberrhein erlebe, ist eine andere. In den Köpfen vieler Menschen auf beiden Rheinseiten gibt es keine Grenze mehr. Aus den “Erbfeinden” sind Nachbarn geworden, Kollegen, Freunde, nicht selten sogar Ehepartner. Ich finde dies faszinierend!

Die Europäische Union als politische Organisation wird oft als schwerfällig empfunden, als mangelhaft, sogar als hinderlich. Aber für mich ist sie der politische Ausdruck eines europäischen Geistes der Zusammengehörigkeit, eines Geistes der Grenzen zum Verschwinden bringen kann. Diesen Geist zu bewahren ist Verpflichtung!

Konrad J. Steinkohl

Jahr: 1972, Ort: Scotch Club in Alf/ Mosel, die damals angesagteste Disco an der Mittelmosel. Hier lernte ich im Dezember 1972 meinen zukünftigen Mann Henri kennen, einen französischen Berufssoldaten aus Chambéry in den französischen Alpen. Ich hatte zwar an der Berlitz in Trier französisch und englisch studiert, hatte aber bis dahin aus finanziellen Gründen nie die Gelegenheit, ein französisch- oder englischsprachiges Land in Europa kennenzulernen. Die Ausnahme war Luxemburg, wo zwar die Amtssprache französisch ist, der überall gesprochene Dialekt aber doch sehr dem Moselpfälzischen ähnelt. Mit Henri, der damals in deutsch nur „Ein Bier bitte“ und „Du bist schön“ sagen konnte, wurde ich nicht behutsam, sondern mit voller Wucht in die französische Sprache, Kultur und vor allem auch Mentalität eingeführt. Ich lernte im Rekordtempo die französische art de vivre, die Küche und auch den argot kennen, der an der Berlitz natürlich nicht unterrichtet wurde, in Frankreich aber unverzichtbar ist. Meine Schwiegermutter in spe führte mich in einige Feinheiten der französischen Küche ein, die nichts mit unserer sehr bodenständigen Küche an der Mosel zu tun hatte. Ich lernte Auberginen, Artischocken und natürlich auch Schnecken kennen, sogar Zucchinis waren mir noch unbekannt. In Metz verliebte ich mich in die französische Mode und war damit den deutschen Mädels an der Mosel immer um mindestens eine Saison voraus. 

Das erste Mal Anfang 1973 ganz in der Nähe von Schengen über die französische Grenze, natürlich noch mit Personenkontrolle, zu fahren, fühlte sich wie ein kleines Abenteuer an, wurde aber bald zur lieben Gewohnheit. Wie hoch diese Freiheit einzuschätzen ist, habe ich erst im Frühjahr diesen Jahres schmerzlich erfahren müssen, als ich plötzlich meine im Elsass lebende Tochter und meine beiden Enkelsöhne wegen der aufgrund von Corona geschlossenen Grenze über einige Wochen hinweg nicht mehr sehen konnte. Diese Freiheit der offenen Grenzen in Europa müssen wir mit allen Mitteln verteidigen und dazu beitragen, dass wir trotz aller kulturellen, mentalen und wirtschaftlichen Unterschiede zu einem starken geeinten Europa zusammenwachsen.

Marlies Pollet

Ich bin für offenen Grenzen, sei es zu Frankreich, zu Schweden oder die Tschechei – auch für offene Grenzen nach Griechenland, dem Land, in dem mein Mann geboren wurde.
Mein Mann war, obwohl er in Deutschland gelebt hat, ganz und gar Grieche, ein stolzer Grieche. Darum habe ich ihn immer beneidet. Wir waren viel und oft in seinem Geburtsland und bei seiner Familie. Bei mir war Griechenland manchmal eine Hass-Liebe im Bezug auf meine Schwiegereltern, heute empfinde ich nur noch die „grenzenlose“ Liebe.
Durch das Schengen-Abkommen konnten wir uns sicher sein, unseren Traum, im Sommer in Deutschland und im Winter in Griechenland zu leben, auch irgendwann umzusetzen. Jetzt lebt mein Mann nicht mehr und ich bin froh, in Deutschland zu sein, da ich vor Jahren einen Schlaganfall hatte und mich in dem deutschen Gesundheitssystem sehr gut aufgehoben fühle. Mein Wunsch ist jetzt, nach Gran Canaria oder Fuerteventura zu ziehen, da ich mich nach der Wärme sehne. Ein Europa ohne Grenzen ist für mich zur Selbstverständlichkeit geworden, die ich nicht mehr aufgeben möchte.

Marliese Ioannidis

I come from the UK. I have lived in Germany since 2013, since July 2020 I am a German citizen. I sometimes joke that it was Nigel Farage who made me become German. Technically, this is true: without Brexit, I would not have had the impetus to become a German citizen, it would have been enough to remain a UK/EU citizen with full freedom of movement rights.

However, this is not the full story: the choice to become a German citizen was also motivated by a need to belong; to be part of a society with respected rules and institutions. A society that has learned the value of democracy, rule of law, and press freedom. These are the values of post-war Germany and of the European Union, which exists because of the wish that war would not happen again in Europe.

In the words of Donald Tusk, the people who pushed for Brexit in the UK „deserve a special place in hell“. [https://www.theguardian.com/politics/video/2019/feb/06/special-place-in-hell-donald-tusk-derides-brexiters-without-a-plan-video]. They want a society where democratic institutions, judges, civil servants are distrusted and disrespected. They argued that the EU, with its „faceless bureaucrats“, was a waste of money, and that Britain could „take back control“. These arguments worked in the 2016 referendum, because most people do not understand the EU or why it exists.

I live in Offenburg, Germany. It is a small, semi-industrial city, in a rural area, fairly provincial. Sometime in 2018, in the middle of the Brexit madness, I encountered Cordelia and Ulrike from our local Pulse of Europe group. They had an information stand in the market square. I thought, „great, here is a chance for me to join a group of local people who believe in the EU“. So, ever since then, I have been part of Pulse of Europe Offenburg.

For me, the Pulse of Europe group stands for a modern, tolerant, pluralistic Germany, supported by strong European institutions. Despite our problems with the recent growth of the right wing AfD (Alternative für Deutschland) party, our home town of Offenburg is a diverse and friendly place to live.

We have to be careful though. Today I was at the Pulse of Europe stand, and started speaking with a man, another foreigner, who speaks good German and has lived and worked here for 26 years. However, he comes from an African country, not a European one, and he has not been able to claim German citizenship as I have. He says this is because of prejudice in our local immigration office. I do not know all the details. However, I believe that, despite all of our progress, there is still unchallenged prejudice against people of colour in our institutions.

It’s easy for people, especially non-European immigrants, to look at the EU as a „privileged white person’s club“, rather than as a set of institutions that are there to protect human, economic and social rights. In our Pulse of Europe group, we should be careful to consider all those who make up our society. I think we should clearly make the connection between the anti-EU campaigns and prejudice, racism and new forms of fascism in Europe.

Our message is just about the benefits of the EU. For me, it’s also about promoting an inclusive society more generally. It’s about defending the rights of foreigners who legally live and work here, pay taxes and raise their families. They also deserve the right to belong. We want an EU which will stand up for their rights, as well.

Michael Lenahan

Mein Zugang zu Europa und PoE

Während meines Studiums war es mir möglich mit einem Erasmus-Stipendium ins Ausland zu gehen. Ich wollte möglichst weit weg und landete in Palermo auf Sizilien. Dieses Jahr wurde entscheidend für mein weiteres Leben. Nicht nur die sichere Beherrschung der Sprache und einiger Kochrezepte, sondern das Verständnis für die Menschen, die dort leben, prägen mich und meinen Umgang mit Fremden und Fremdem bis heute. Einerseits lernte ich junge Menschen meines Alters kennen, die die gleichen Nöte und Sorgen und Freuden hatten wie ich – andererseits dachten und verhielten sie sich oft sehr anders als ich. Als Erkenntnis aus diesem Auslandsjahr nahm ich das tiefe Wissen um das Geprägtwerden durch eine Kultur mit nach Hause, „wenn ich in Sizilien aufgewachsen wäre, wäre ich jemand anderes“, sagte ich damals oft. Doch stärker als die Unterschiede war die Verbundenheit, die allerdings oft lange Gespräche zur Überbrückung von kulturellen Missverständnissen erforderte. Auch für die Möglichkeit in Italien und auf Italienisch andere Teile meiner Persönlichkeit finden und ausdrücken zu können, bin ich sehr dankbar. Diese Erfahrung hat mein Leben geprägt und mich zu Pulse of Europe geführt, deren wichtigste Forderung für mich die Vielfalt in der Einheit ist.

Ulrike Finger

Meine Gedanken zu Europa sind in den 10 Grundwerten von PoE ausreichend beschrieben…
Was kann ich da noch hinzufügen? Persönliches, Biografisches? 
Meine Vision ist VSE! Punkt! Vereinigte Staaten von Europa. Allerdings wesentlich kontrollierter als in den desaströsen USA. Keine Macht den Übermächtigen!   Eine starke soziale Komponente muss alle Menschen mitnehmen, denn sonst kann es niemals Sicherheit geben. 
Meine Biografie? Abgesehen von der Nachkriegszeit, die ich als Baby so gut wie nicht spürte und nur aus Erzählungen kannte, habe ich  NUR FRIEDENszeiten erlebt.
Und das soll so bleiben! Aber eben mit allen Vorzügen, die bisher erarbeitet und verwirklicht sind. An unserem Europa gibt es noch viel zu reformieren, aber der Gedanke an Einigkeit, Sicherheit und Respekt in einem gemeinsamen Raum muss alle verbinden.

Wilfried Beege „Beegee“

Europa, d.h. der Staatenbund und die Gemeinschaft der Menschen sind der Garant für unseren Frieden.
Als Kind von traumatisierten Kriegsflüchtlingen des 2. Weltkrieges, die den Faschismus erlebt haben und alles verloren haben außer ihr nacktes Leben, weiß ich um den existentiellen und hohen Wert von Frieden, Freiheit und Demokratie.
Meine Heimat ist Europa. Alle Menschen streben nach Glück.
Ich wünsche mir, dass mehr Menschen in die Eigenverantwortung gehen.
Nur im Dialog, in einem solidarischen, toleranten Miteinander der Menschen können
wir den aktuellen Herausforderungen begegnen. Nur gemeinsam sind wir stark.
Europa steht auf dem Prüfstand. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen auf
die Straße gehen und ihre Stimme für die Gemeinschaft erheben.

Yvonne Finck